Der Kontext
Die Arbeitswelt befindet sich aktuell in einem tiefgreifenden, strukturellen Wandel – das sind natürlich keine Breaking News.
Doch längst geht es dabei nicht mehr nur um die Digitalisierung. Vielmehr stehen verstärkt die veränderten Wünsche, Vorstellungen und Erwartungen von Arbeitnehmer* innen im Fokus. Aspekte wie Arbeitsklima, Erfüllung und Selbstbestimmung gewinnen stark an Bedeutung und stellen Unternehmen vor neue Herausforderungen.
Studie zeigt: Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit der beiden zentralen Themen Diversität und Digitalisierung.
Doch welche konkreten Anforderungen und Ansprüche haben Menschen heute an ihre Arbeitgeber? Welchen Stellenwert haben Diversität und Digitalisierung bei der Entscheidung für ein Unternehmen? Und wie bewerten Mitarbeiter die digitale Transformation in ihren Unternehmen? Um diese Fragen zu beantworten, haben wir gemeinsam mit der Europa-Universität Flensburg eine Studie zum Thema „Diversität und Digitalisierung in Unternehmen“ durchgeführt¹.
Die Studie förderte dabei die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit hinsichtlich der beiden zentralen Themen Diversität und Digitalisierung zutage. Nachholbedarf gibt es insbesondere bei den Maßnahmen zur Förderung von Frauen, dem Frauenanteil in Führungspositionen und der Sichtbarkeit von Rolemodels. Insbesondere für ältere Angestellte über 45 Jahren haben weibliche Rolemodels eine wichtige Funktion.
Und auch das belegt die Studie: Unternehmen mit einem höheren Frauenanteil in Führungspositionen sind in Sachen Diversität und Digitalisierung wesentlich besser aufgestellt. Im Vergleich zum Mittelstand haben Konzerne einen Vorsprung in Bezug auf Diversität und Digitalisierung.
¹ Ziel der Studie war es, herauszufinden, wie die Teilnehmer*innen den aktuellen Entwicklungsstand der Digitalisierung sowie die Ausgestaltung der Diversity-Dimensionen in ihrem Arbeitsumfeld bewerten. Zudem wurde untersucht, welche Bedeutung den beiden Aspekten Diversität und Digitalisierung zugeschrieben wird. An der Studie teilgenommen haben insgesamt 392 Personen, davon 92% aus Deutschland. Rund 78% der Teilnehmer*innen sind in einem Unternehmen angestellt, wovon 37% zusätzlich Führungsverantwortung haben.
Mehr Diversität heißt erfolgreichere Digitalisierung
Unternehmen mit einem hohen Frauenanteil in Führungspositionen treiben Diversität und Digitalisierung stärker voran.
Die Insights
Diversität als strategisches Unternehmensziel – statt Broschüren-Buzzwording
Das Feedback der Teilnehmer*innen der Studie zeigte, dass ein echter Wandel im Unternehmen hinsichtlich Diversität und Digitalisierung in der Realität oft noch ausbleibt.
Die Relevanz dieser Themen wird zwar von Führungskräften anerkannt, jedoch nicht ausreichend verstanden und umgesetzt.
Walk the talk: Statt reiner Lippenbekenntnisse wären ein tiefgreifender Kulturwandel und ein Mindshift seitens des Top-Managements notwendig.
Nur so ist nachhaltiger Fortschritt möglich. Außerdem haben die Antworten der Teilnehmer*innen gezeigt, dass das Thema Diversität eine Aufwertung braucht:
Weg vom reinen Buzzwording in Broschüren und hin zu einem strategischen Thema, das das wirtschaftliche Potenzial und die Vorteile von diversen Teams honoriert.
Mitarbeiter*innen erkennen klar Bedeutung und Potenzial der Digitalisierung
Laut der Studie bedeutet Digitalisierung in erster Linie die Entwicklung neuer Technologien, die die (Arbeits-) Welt verändern.
Von einer Mehrheit der Teilnehmenden werden damit aber auch Werbung/Kommunikation und neue Berufsfelder verbunden. Diese gehen mit verbesserten Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung von Frauen und gesteigerten Karrieremöglichkeiten einher.
Verschläft der Mittelstand die digitale Transformation?
Konzerne sind laut den Studienergebnissen im Vergleich zum Mittelstand allgemein progressiver im Hinblick auf viele Diversitäts- und Digitalisierungsmaßnahmen.
In großen Unternehmen spielen Karriereförderung von Frauen und die Stärkung weiblicher Rolemodels naturgemäß eine wichtigere Rolle. Die Mitarbeiter*innen in Konzernen scheinen zudem deutlich stärker davon überzeugt zu sein, dass ihr Unternehmen ausreichend Ressourcen in die Digitalisierung investiert.
Beim Thema Diversität driften Wunsch und Wirklichkeit auseinander
Auch wenn bei den Studienteilnehmer*innen ein besonders starker Wunsch nach mehr Diversität bezüglich ethnischer Herkunft, Alter und Geschlecht besteht, scheinen ihre Arbeitgeber*innen diesem nicht immer gerecht zu werden.
Die Studienergebnisse zeigen, dass besonders in den genannten Bereichen eine Diskrepanz zwischen dem Bedürfnis der Arbeitnehmer*innen und der Umsetzung ihrer aktuellen Arbeitgeber*innen besteht:
- Der Dimension „ethnische Herkunft“ messen knapp 46% der Teilnehmer*innen eine hohe bis sehr hohe Bedeutung bei. Es haben jedoch nur rund 25% von ihnen den Eindruck, dass sich ihr aktueller Arbeitgeber stark um eine Belegschaft mit gemischter (ethnischer) Herkunft bemüht.
- Den Diversitätsaspekt „Alter“ sehen gut 45% der Teilnehmer*innen als sehr bedeutend an. Lediglich 28% von ihnen erkennen jedoch ein Bemühen in diesem Bereich seitens ihres Unternehmens.
- Das Merkmal „Geschlecht“ wird von 66% der Teilnehmer*innen als bedeutend eingestuft. Auch hier haben jedoch nur rund 29% von ihnen den Eindruck, dass sich ihr Unternehmen für eine ausgeglichene Geschlechterverteilung auf allen Ebenen engagiert.
Die Bedeutung von Frauenförderung, Frauenanteil und Rolemodels wird unterschätzt.
Arbeitnehmer*innen legen bei der Auswahl des Unternehmens besonderen Wert auf frauenspezifische Kriterien. Genau diese scheinen sie in ihrem aktuellen Arbeitsumfeld jedoch nur begrenzt vorzufinden:
- Während knapp 75% der Teilnehmer*innen dem Aspekt „Maßnahmen des Unternehmens zur Karriereförderung von Frauen“ eine sehr hohe Bedeutung beimessen, glauben nur rund 30%, dass sich ihr Unternehmen auch dadurch auszeichnet.
- Eine vergleichbar ausgeprägte Diskrepanz zwischen Wunsch und Realität ist bezüglich des Aspektes „Hoher Anteil von Frauen in Führungspersonen“ zu erkennen. Diesen sehen 43% der Teilnehmer*innen als sehr bedeutend an, wovon jedoch nur rund 22% glauben, dass es auf ihr Unternehmen zutrifft.
- Dem Aspekt „Mitarbeiterinnen und weibliche Führungskräfte aus dem Unternehmen, die als Rolemodels in der Öffentlichkeit sichtbar und anerkannt sind“ messen 38% der Teilnehmer* innen eine sehr hohe Bedeutung bei der Wahl ihres Unternehmens bei. Es glauben jedoch nur 25% der Teilnehmer*innen, dass sich ihr aktueller Arbeitsplatz stark durch
sichtbare Rolemodels auszeichnet.
Besonders bemerkenswert ist dabei, dass ältere Angestellte (über 45) mehr Wert auf sichtbare weibliche Rolemodels in Unternehmen legen als jüngere Frauen (unter 30).
Der Impact von Frauen in Führungspositionen auf Digitalisierung und Diversität
Auch wenn die Forderung nach einem höheren Frauenanteil in Führungspositionen mittlerweile ein Klassiker ist, scheint meist unklar zu sein, welchen konkreten Einfluss dieser Aspekt auf die Digitalisierung und die allgemeine Diversität im Unternehmen hat.
Die Studie zeigt, dass Digitalisierung und Diversität in Unternehmen, in denen Frauen stärker in Führungspositionen vertreten sind, wesentlich progressiver gehandelt werden.
Konkret wird bei einem höheren Anteil von Frauen in Führungspositionen mehr Wert auf Diversität hinsichtlich ethnischer Herkunft, Geschlecht und Alter gelegt. Außerdem scheinen Unternehmen mit einem höheren Frauenanteil in Führungspositionen in Digitalisierungsfragen einen deutlichen Vorsprung vor ihren Wettbewerbern haben.²
² Auch Studien wie „Delivering Through Diversity“ von McKinsey haben bereits einen deutlichen Zusammenhang zwischen Diversity im Unternehmen und ökonomischer Performance nachgewiesen. Durch vielfältige Teams steigt die Produktivität und Prozesse werden weiterentwickelt. Diese Aspekte sind essenziell für eine erfolgreiche digitale Transformation.
Förderung ist der Schlüssel hin zu mehr Diversität
Ein höherer Frauenanteil in Unternehmen und vor allem in Führungspositionen geht laut den Studienergebnissen nicht ohne interne Förderungen und Unterstützung.
Gewünscht werden auch interne Mentoren- und Frauenförderprogramme, in denen sich Frauen gegenseitig unterstützen und austauschen können. Laut dem Feedback der Teilnehmer*innen sollte ein Ziel sein, das Durchsetzungsvermögen von Frauen in der männlich geprägten Unternehmenswelt zu stärken und limitierende Glaubenssätze aufzulösen.
Laut der Studienergebnisse sollte außerdem ein Raum geschaffen werden, um Karriere- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten zu thematisieren und Frauen somit aktiv Unterstützung zu bieten.
Die weiblichen Teilnehmerinnen sind vor allem daran interessiert, wie Familie und Beruf besser vereinbart werden können – insbesondere für Frauen in Führungspositionen.
Handlungsempfehlungen für Unternehmen
01
Praktiken kritisch hinterfragen
Als erster Schritt ist hier eine Standortbestimmung zu empfehlen, in der die Arbeitgeber*innen sich und ihre Praktiken hinsichtlich Digitalisierung und Diversität kritisch hinterfragen: „Was ist unseren (zukünftigen) Mitarbeitenden wichtig? Wie nehmen sie diesbezüglich das Unternehmen wahr? Wo kommen Störgefühle auf und was kann ich als Unternehmen tun, um diese abzubauen?“ Wie essenziell diese Fragen sind, zeigt ein Kommentar in dem Freitextfeld der Studie:
“Ich habe aufgrund vieler dieser Fragen, die ich recht negativ beantwortet habe, bereits gekündigt und fange demnächst einen neuen Job an.“
02
Gestaltungspotenziale identifizieren
Basierend auf der Standortbestimmung können im nächsten Schritt Gestaltungspotenziale im Unternehmen identifiziert werden. Hierbei ist es vor allem wichtig, die Mitarbeiter*innen aktiv einzubinden.
In den Freitextfeldern der Studie kam häufig der Wunsch nach mehr Partizipation und demokratischer Strukturen auf. Basierend auf den Studienergebnissen ist es daher empfehlenswert, ein hohes Maß an Identifikation zu bieten, um sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren.
Die Studie zeigt deutlich, wie Digitalisierung und Diversität zusammenwirken. Diversität sollte von Unternehmen als Treiber der digitalen Transformation erkannt und nicht nur als reines Legitimations- und PR-Mittel genutzt werden.
03
Authentisches Employer Branding
Dies gilt sowohl extern als auch intern, denn Employer Branding wirkt nur dann authentisch und nachhaltig, wenn es auch die interne Perspektive abdeckt.
Das, was nach außen präsentiert wird, sollte von den Führungskräften gelebt und von den Mitarbeiter*innen als authentisch empfunden werden.
04
Stärkung von weiblichen Rolemodels
Es wurde vermehrt argumentiert, dass Frauen sichtbarer werden sollten und dass dies einen positiven Effekt auf die Selbstwirksamkeit von Frauen hat. Dies bezieht sich insbesondere auf digitale und IT-nahe Unternehmenskontexte.
Global Digital Women / November 2019
GLOBAL DIGITAL WOMEN
Unsere Mission lautet:
„Making the world more digital and diverse“.
Als Global Digital Women GmbH (GDW) sind wir die Organisation, die im Thema „Frauen & Digitalberufe“ die erprobte und erfahrene Expertise mitbringt, ein attraktives und nachhaltiges Programm zu entwickeln.
Was als kleines Netzwerktreff en in Berlin angefangen hat, ist zu einer europaweiten Organisation mit über 30.000 Frauen aus der Digitalbranche gewachsen. Die Basis unserer Arbeit: Karrierechancen
sowie die durch die Digitalisierung entstehenden unterschiedlichen beruflichen Möglichkeiten für Frauen greifbar und nahbar zu machen.
In Zahlen ausgedrückt: über 80 Veranstaltungen pro Jahr mit führenden Unternehmen, Verbänden und Start Ups, ein Social Media Kontaktpotenzial von 43 Mrd. und die Zusammenarbeit mit 5 von 30 DAX Konzernen sowie einigen Mittelständlern.
Mit unserer einzigartigen Expertise im Netzwerkaufbau sowie Netzwerkpflege der Zielgruppe digitalaffi ner Frauen und solcher, die es werden möchten, sind wir damit Europas führendes Diversity-Unternehmen.
CONTRIBUTORS
Tijen Onaran
Gründerin, Unternehmerin, Moderatorin & Speakerin Global Digital Women, Female One Zero, ACI
Dr. Tanja Reimer
Dr. Werner Jackstädt-Zentrum für Unternehmertum und Mittelstand Flensburg